Eichelschwein

Geschichte der Schweinehaltung in Wäldern

von Dipl.-Ing. agr. Hans-H. Huss

Novemberszene im Stundenbuch des
Duc de Berry (16. Jahrhundert)


Die Waldweide mit Schweinen gilt seit langem als überholte und antiquierte Nutzungsform vergangener Zeiten. Sie scheint den modernen Anforderungen an eine effiziente Schweinemast nicht genügen zu können - ganz zu schweigen von den Schäden, die die Schweine durch ihre Neigung zu wühlen angeblich dem Wald zufügen. Andererseits wird häufig auf die besonders gute Qualität des Fleisches der Schweine, die im Wald gemästet wurden, hingewiesen ("Die besten Schinken wachsen an den Eichen.").

In aktuellen Lehrbüchern zur Schweinehaltung läßt sich nicht viel zu diesem Thema entnehmen. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass früher die Tiere in den Wald getrieben wurden. Darüber hinaus gibt es aber kaum Angaben, wie man die Schweine gehalten hat, wo und wann die besten Zeiten für den Austrieb waren und welche Schäden im Wald entstanden.

Im Laufe der Ermittlungen über die Waldbeweidung mit Schweinen zeigte sich, dass diese Form der Haltung einen sehr großen Stellenwert in der bäuerlichen Wirtschaftsweise über Jahrtausende eingenommen hat. Viele Bilder, Kalenderblätter und Texte zeigen die "Eichelmast". Der Austrieb der Schweine in den Wald bildete lange die Grundlage der Versinnbildlichung für den Herbst.

Die vorhandenen Schrift- und Bildquellen umreißen die immense Bedeutung der Eichel- und Buchenmast. Allerdings ist die Quellenlage sehr lückenhaft. Für Teilbereiche, wie beispielsweise der Besatzdichte von Schweinen in Wäldern, wo sowohl die quantitative und qualitative Futteraufnahme durch die Schweine als auch die Produktionsmenge an Baumfrüchten relevant ist, gibt es keine verläßlichen Aussagen.

Bedeutung der Waldweide mit Schweinen

Die Waldweide mit Schweine war über Jahrtausende hinweg die einzige Möglichkeit diese Tiere zu mästen ohne auf Futtermittel zurückgreifen zu müssen, die auch vom Menschen verzehrt werden konnten. Dieser Zusammenhang wird besonders deutlich in den archäologischen Funden von Siedlungen. In waldreichen Regionen spielten Schweine eine wichtige Rolle in der Versorgung der Bevölkerung - in Gegenden ohne Wälder dominieren Rinder und Schafe die Haustierpopulationen. In allen eurpäischen Kulturen, deren Wirtschaftsweisen überliefert sind, kann deshalb die Waldweide nachgewiesen werden.

Prinzipiell wurde mit den Hausschweinen der Lebenszyklus der Wildschweine übernommen. Demnach wurden die Tiere im Frühjahr und Sommer in den morastigen Auen und Sümpfen geweidet. Erst wenn die Eicheln und Bucheckern reif waren, zog man mit den Tieren in die Wälder. Dort wurde von Baum zu Baum gezogen bis die Früchte verbraucht waren oder der erste Schnee fiel. Um wenige Tiere im Winter füttern zu müssen, wurden alle nicht unbedingt für die Zucht notwendigen Jungtiere geschlachtet.

Novemberszene aus dem Brevarium Grimani
(15. Jahrhundert)


Auch sprachlich hat sich die Bedeutung manifestiert. Das Wort "Mast" kennzeichnete ursprünglich die als Speise dienenden Baumfrüchte. Später wurde es auf die Eicheln und Bucheckern als Schweinefutter eingeschränkt. Heute wird es allgemein für das "Fettmachen" von Tieren verwendet. Daneben wurde die Samenproduktion der Eichen und Buchen als beispielsweise als Eckerich, Ecker Äcker oder Acker bezeichnet. Daraus leitete sich der Acker aus landwirtschaftlicher Sicht ab.

Schweinehaltung in Wäldern Fütterung

Der wichtigste Punkt der Haltung von Schweinen war die ausreichende Ernährung. Sie war Grundlage für das Wachstum und den Erfolg der Mast und beeinflusste entscheidend die Fleischqualität. Im allgemeinen galt das Fleisch der Schweine, die mit Eicheln gemästet wurden, als die qualitativ höherwertig. Die Eicheln machen das Fleisch "kernig" und äußerst wohlschmeckend. Im Gegensatz dazu wird das Fleisch bei einer hauptsächlichen Fütterung mit Bucheckern süßlich, weich und tranig.

Die Fütterung der Schweine wurde in mehrere Komponenten aufgeteilt. Neben den Baumfrüchten Eicheln und Bucheckern, der sogenannten Obermast, wurden auch Wildobst, Kastanien, Linden- und Ahornsamen, Nüsse und Beeren dazugezählt. Als Ergänzungsfutter der kohlehydratreichen Eicheln oder der sehr fetthaltigen Bucheckern fungierte die sogenannte Untermast. Sie setzt sich aus allem für Schweine verwertbaren Futter zusammen, dass die Schweine im oder unmittelbar auf dem Boden fanden, wie zum Beispiel Wurzeln, Insekten, Würmer und Kleinsäugetiere.

Herdenmanagement

Durch die kurze Weideperiode, die sich in der Regel auf die Monate September bis November erstreckte und um eine optimale Ausnutzung der vorhandenen Mast zu gewährleisten, wurde der Organisation und dem Herdenmanagement immer große Beachtung geschenkt. Schweine lassen sich viel besser als alle anderen Nutztiere akustisch konditionieren, das heißt, sie folgen einem Hirten auf bestimmte Signale wie Töne durch Hörner oder spezifische Rufe. Dadurch war es leicht möglich Herden mit einer Größe von mehr als hundert Tieren von einem Hirten und maximal zwei Helfern betreuen zu lassen. Derartige Herden sind seit den Griechen bis in 19. Jahrhundert immer wieder belegt.

Forstliche Aspekte


Ein mehr als 200 Jahre alter Eichenhutewald
bei Hellmitzheim / Iphofen in Unterfranken

Die Bedeutung der Waldweide und speziell der fruchttragenden Bäume Eiche und Buche wird durch den großen Schutz, den man diesen Bäumen zuteil werden ließ, deutlich. Bereits bei den Germanen standen Eichen unter Schutz und die Verletzung oder das Fällen wurden streng bestraft. Auch in frühzeitlichen Gesetzen finden sich vergleichbare Regelungen.

Ab dem Mittelalter wurden in Deutschland nach und nach Forstordnungen erlassen, die unter anderem der Sicherung der Eichelmast großen Bedeutung beigemessen haben.

Neben der Holznutzung spielte die Eichelmast aber auch immer eine sehr wichtige ökonomische Rolle. Sie wurde als erste Nutzung mit Gebühren belegt und sogar ein Mastzwang eingeführt, der einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung des Adels darstellte. In der Regel waren die Erlöse aus der Nutzung der Mast um ein Vielfaches höher, als die des Holzverkaufs.

Um sowohl der Holzproduktion als auch der Erzeugung ausreichender Mengen an Schweinefutter Rechnung zu tragen, entstanden Waldformen wie der Mittelwald oder Hutewälder.

Der Mittelwald besteht aus einem Niederwald, bei dem die Bäume regelmäßig alle 20 - 30 Jahre auf Stock gesetzt werden und in größerem Abstand einigen Eichen stehenblieben - die sogenannten Überhälter, die große Kronen ausbildeten, die über die Bäume des Niederwaldes ragten. Dabei wurde auf derselben Fläche Brenn- und Bauholz sowie Eicheln erzeugt. Seit dem Ende der Waldweide verschwindet diese alte Waldform, da heute nur noch die Holzproduktion relevant ist. Ähnlich strukturiert waren Hutewälder, die neben der Holz- und Eichelproduktion aber auch als Rinderweiden genutzt wurden.

Der Hutewald (auch Hut- oder Hudewald) hat neben den großkronigen Eichen auch eine geschlossene Grasnarbe unter den Fruchtbäumen und diente neben der Produktion von Schweinefutter auch zur Beweidung mit Grasfressern (Rinder, Schafe oder Ziegen) und der Brenn- bzw. Bauholzerzeugung.

Existierende Formen der Waldweide mit Schweinen

Nicht in allen Teilen Europas ist die Waldweide der Schweine verschwunden. Beispiele für existierende Formen der Waldweide mit Schweinen sind die Dehesa in Südspanien (Beweidung von Stein- und Korkeichenhutewäldern), die Weide von Bindenschweinen in Mittelitalien und die Beweidung der Saveauen in Kroatien. Daneben werden noch in Großbritannien alte Weiderechte vereinzelt wahrgenommen und in Dänemark versucht man die positiven Effekte durch das Wühlen der Schweine zur Naturverjüngung in Buchenwäldern zu nutzen.

Schweinebeweidungsversuch zur Verbesserung der Naturverjüngung in einem Buchenwald/Dänemark

Reaktivierung der Waldweide in Deutschland


Auf dem Dorfanger fressen die Schweine Fallobst im Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck


Die vorhandenen Quellen lassen die Schweineweide in Wäldern als durchaus interessantes Tierhaltungssystem erscheinen. Dabei spielen für weitere Untersuchungen zwei Aspekte eine wichtige Rolle. Zum einen besteht damit eine Möglichkeit die traditionellen Kulturlandschaftsformen Mittelwald und Hutewälder zu erhalten. Diese sind, ähnlich wie Streuobstbestände, wichtige, sehr artenreiche Biotope, die zunehmend verschwinden, da der Erhalt nur durch die Holznutzung unrentabel ist.

Durch eine Nutzung als Schweineweide ist es denkbar, die Wertschöpfung der Fläche zu erhöhen und dadurch die Kosten des Erhalts und der Pflege in einem vertretbaren Rahmen zu halten.
Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen für eine Beweidung mit Schweinen deutlich verändert. Beispielsweise ist eine Hütehaltung durch die Vorschriften der Europäischen Union nicht mehr zulässig und sicherlich findet sich auch kein geeignetes Personal.